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Mutter Erde (Kurz-Geschichte)
 
Der Mond kreist unbewegter Miene um die Erde
und schaut sie sich genau von allen Seiten an,
seitdem er roh aus ihrem Leib geschlagen wurde,
hat sich auf ihr Erstaunliches getan.

Mal sah er sie verwüstet oder ganz versunken
und traf sie plötzlich ein Kometenvagabund
dann hüllten Feuerstürme ihr Gesicht in Funken
und er hielt Wache bis sie's überstand.

    In ihrem Koma war noch schöner sie geworden
    mit grünen Wäldern, blauen Seen und Flüssen, klar
    skurrilen Wesen in der Luft bis tief in Fjorden,
    es war genug und Platz für alle da. 

Nach zehn Milliarden Runden, sah er wie dort unten
sich feine Linien nach eigenem Gesetz
verzweigten und verknoteten, sich um sie spannten
und eng umschlangen wie ein Spinnennetz.

Und um die Knoten wuchsen Städte und Fabriken
und in den Zwischenräumen wehte blauer Staub
und in der Dämmerung sah er ihre Lampen blinken
und leise drang Musik zu ihm hinauf.

Solo
    Er hörte dumpfes Donnern und sah grelle Blitze,
    die Lichter ihrer Lampen gingen wieder aus, 
    er schien auf Felder namenloser weißer Kreuze,
    bedeckt mit Raureif grauen Bombenrauchs.

[ Wo sind sie nur da draußen, die den Frieden geben	           
  und treibt der Mond nicht blind und taub im leeren Raum;
  was kümmert’s ihn, wie lang' noch Erdenwesen leben,
  die Muße haben, ihn sich anzuschau'n? ]

Der Mond kreist unbewegter Miene um die Erde
und wird sie sich noch viele Nächte lang beseh’n
bis sie gemeinsam in der roten Chromosphäre
der aufgeblähten Sonne untergeh'n.
				(Leo Kowald, Juli 2009)