Das rote Plakat / L'affiche rouge (von Louis Aragon, 1944, deutsch von Leobald Loewe, November 2009)
Fresnes, 21. Februar 1944.
Meine liebe Mélinée Meine kleine, geliebte Waise, in einigen Stunden werde ich nicht mehr auf dieser Ich hatte mich in der Befreiungsarmee als freiwilliger Soldat engagiert und sterbe kurz vor dem Sieg und dem Ziel. Glück denen, die uns überleben und die Süße der Freiheit und des Friedens von morgen genießen werden. Ich bin sicher, daß das französische Volk und alle Freiheitskämpfer unser Andenken in Ehren halten werden. Im Augenblick meines Todes erkläre ich, daß ich keinen Haß gegen das deutsche Volk oder sonst jemanden empfinde. Jeder wird die Strafe oder Belohnung bekommen, die er verdient hat. Das deutsche Volk und alle anderen Völker werden nach dem Krieg, der nicht mehr lange dauern wird, brüderlich und in Frieden leben. Glück für Alle. Ich bedaure es zutiefts, dass ich Dich nicht glücklich gemacht habe, ich hätte gerne von Dir ein Kind gehabt, so wie Du es immer wolltest. Ich bitte Dich also, nach dem Krieg zu heiraten und, ich meine das ernst, ein Kind zu haben, um meinen letzten Wunsch zu erfüllen. Heirate jemandem, der Dich glücklich machen kann. Alles, was ich besitze, vermache ich Dir, Deiner Schwester und meinem Neffen. Nach dem Krieg kannst Du als meine Ehefrau Deine Rechte auf eine Kriegsrente geltend machen, denn ich sterbe als Soldat der regulären französischen Befreiungsarmee. Laß meine Gedichte und Schriften mit Hilfe von Freunden, die mir wohl gesonnen sind, drucken. Wenn möglich, bringe meine Erinnerungsstücke zu meinen Verwandten nach Armenien. Ich werde bald mit meinen 23 Kameraden sterben, mit dem Mut und der Heiterkeit eines Menschen, der ein recht ruhiges Gewissen hat, denn ich habe persönlich niemandem weh getan, und wenn ich es gatan habe, tat ich es ohne Hass. Heute scheint die Sonne. Während ich die Sonne und die schöne Natur betrachte, die ich so geliebt habe, werde ich dem Leben und Euch allen lebwohl sagen, meine liebe Frau und meine lieben Freunde. Ich verzeihe allen, die mir weh getan haben oder die mir weh tun wollten, außer dem, der uns verraten hat, um seine Haut zu retten, und jenen, die uns verkauft haben. Ich umarme Euch ganz fest, Dich, Deine Schwester und alle Freunde, die mich mehr oder weniger gut gekannt haben. Ich schließe Euch alle in mein Herz ein. Adieu. Dein Freund, Dein Genosse, Dein Mann. Michel Manouchian. P.S. 15.000 Francs liegen in einem Koffer in der Rue de la Plaisance. Wenn Du sie holen kannst, zahle damit meine Schulden und gib den Rest Armène. M.M. |
21 février 1944
Ma chère Mélinée Ma petite orpheline bien-aimée, Dans quelques heures je ne serai plus de ce monde. Nous allons être fusillés cet après-midi, à. quinze heures. Cela m arrive comme un accident dans ma vie; je n'y crois pas, mais pourtant je sais que je ne te verrai plus jamais. Que puis-je t'écrire? Tout est confus en moi et bien clair en même temps. Je m'étais engagé dans l'armée de la libération en soldat volontaire et je meurs à deux doigts de la victoire et du but. Bonheur à ceux qui vont nous survivre et goûter la douceur de la liberté, de la paix de demain! Je suis sûr que le peuple français et tous les combattants de la liberté sauront honorer notre mémoire dignement. Au moment de mourir, je proclame que je n'ai aucune haine contre le peuple allemand et contre qui que ce soit. Chacun aura ce qu'il mérite comme châtiment et comme récompense. Le peuple allemand et tous les autres peuples vivront en paix et en fraternité, après la guerre qui ne durera plus longtemps. Bonheur à tous. J'ai un regret profond de ne t'avoir pas rendue heureuse. J 'aurais bien voulu avoir un enfant de toi, comme tu le voulais toujours. Je te prie donc de te marier après la guerre. Sans faute, d'avoir un enfant pour accomplir ma dernière volonté. Marie-toi avec quelqu'un qui puisse te rendre heureuse. Tous mes biens et toutes mes affaires, je te les lègue, à toi, à ta soeur et à mes neveux. Après la guerre, tu pourras faire valoir ton droit à la pension de guerre en tant que ma femme, car je meurs en soldat régulier de l'armée française de libération. Avec l'aide des amis qui voudront bien m'honorer, tu feras éditer mes poèmes et mes écrits... Tu apporteras mes souvenirs si possible à mes parents en Arménie. Je mourrai tout à l'heure avec mes vingt-trois camarades, avec le courage et la sérénité d'un homme qui a la conscience bien tranquille, car personnellement, je n'ai fait de mal à personne et si je l'ai fait, je lai fait sans haine. Aujourd'hui, il y a du soleil. C'est en regardant le soleil et la belle nature que j'ai tant aimée que je dirai adieu à la vie et à vous, tous, ma bien chère femme et mes bien chers amis. Je pardonne à tous ceux qui m'ont fait du mal ou qui ont voulu me faire du mal, sauf à celui qui nous a trahis pour racheter sa peau et ceux qui nous ont vendus. Je t'embrasse bien fort ainsi que ta soeur et tous les amis qui me connaissent de loin ou de près. Je vous serre tous sur mon cœur. Adieu. Ton ami, ton camarade, ton mari. Michel MANOUCHIAN |
Missak Manouchian kam am 1. September 1909 im armenischen Dorf Agyamian in der Türkei nahe dem Euphrat als Sohn des Gärtners Gévorqua Manouchian und der Bäuerin Vardouï, geborene Kassian, zur Welt. Er war der jüngste einer Reihe von Geschwistern und durchlebte eine recht glückliche Kindheit bis zum Sommer 1916.
Die Türken, die durch österreichs Unterstützung gestärkt, im Begriff waren, Rußland anzugreifen, gingen vorerst auf die Armenier los, wie es seit deren Kooperation mit den Kreuzrittern im 13. Jahrhundert bei jedem türkischen Kriegsbeginn üblich war. Besonders das Gebiet um Agyamian wurde durch seinen vehementen Widerstand bekannt, wobei beide Eltern Missaks ums Leben kamen.
Er konnte mit seinem Bruder Karapet flüchten und Unterschlupf bei einer kurdischen Familie finden. Darauf verbrachten die zwei Brüder mehrere friedliche Jahre in einem syrischen Waisenheim in Djunye, wo Missak seinen Hang zur Poesie entdeckte. Außerdem lernte er Französisch, da Syrien seit kurzem unter dem Einflußbereich Frankreichs stand, und wurde zum Tischler ausgebildet.
Nach Kriegsende wurden sie von einem entfernten Cousin, der in Marseille lebte, zu sich gerufen, doch die überfahrt gelang erst 1925. In Frankreich angekommen konnten sie gleich mit der Arbeit bei einem Möbeltischler beginnen, aber die Hafenstadt war ihnen ein unangenehmer Ort. Eines Tages erkrankte Karapet an einem zunächst harmlosen Grippevirus, den er nicht mehr los werden sollte. Missak sah den Zeitpunkt gekommen, in den Norden zu gehen, und sie machten sich gemeinsam auf den Weg nach Paris. Dort angelangt verschlimmerte sich die Krankheit des Bruders fortlaufend und er starb im Jänner 1927.
Missak arbeitete in einer Citroën-Fabrik, verlor die Stelle jedoch schnell wieder wegen der sich allgemein ausbreitenden Wirtschaftskrise. Aber er sah in der Fabrik erstmals die aktive kommunistische Partei, die Gewerkschaften und Vertreter der Arbeiter ins Leben rief. Seit Marseille hatte er sich neben der andauernden Arbeitssuche immer genug Zeit für seine Gedichte genommen und gründete mit einem zweiten armenischen Dichter das Lyrikblatt «Tchank».
Politisches Engagement war ihm nun immer wichtiger, und er wurde noch im selben Jahr Mitglied der kommunistischen Partei. Die MOI beauftragte ihn, als Gewerkschafter die ausländischen Arbeiter in den Vororten der Hauptstadt zu organisieren. Bald wurde er zum Präsidenten des Hilfskomitees für Armenien (HOC) ernannt und übernahm die Leitung des armenischen Informationsblattes «Zangou». Als Mitarbeiter des von André Malraux gebildeten Hilfskomitees für die spanischen Republikaner wollte er außerdem mit den internationalen Brigaden kämpfen, aber er konnte seine vielen wichtigen Aufgaben in Frankreich nicht einfach fallenlassen. Auf einem Kongreß des HOC Ende 1935 lernte er Mélinée kennen, die Vollwaise wie er war. Ihre Liebesgeschichte begann mit einem Tanz, während dem er ihr ungeschickt auf die Füße trat, und wurde zu einer glücklichen Ehe.
Bis 1939 hatte er sich eine hohe Position in der PCF erarbeitet. Eines Abends wurde er beim Verteilen von verbotenen Flugblättern entdeckt und festgenommen. Drei Tage später griff die deutsche Wehrmacht Frankreich an, und Missak wurde sofort ins Heer eingezogen, wie es allen Inhaftierten damals erging. Zu seinem Glück mußte er nicht gleich an die französische Front, die ohnehin nur kurz standhielt, und entdeckte als Kommandant einer kleinen Truppe seine Qualitäten als Anführer.
Nach dem Einmarsch der Besatzer konnte er wieder in einer Fabrik arbeiten, wo ihm auch ein senegalesischer Arbeitskollege zur Seite stand, der ihm ein guter Freund wurde. Doch der Rassismus in Frankreich wuchs erschreckend schnell. Eines Morgens fand er den Freund mit Eisenstangen erschlagenen an seinem Platz. Er schrie vor Entsetzen, aber die anderen wunderten sich, wie man nur über einen "nègre" weinen konnte. Ein einschneidendes Erlebnis, das in ihm zum ersten Mal den drängenden Wunsch nach bewaffnetem Widerstand auslöste.
Wenig später wurde Manouchian wiederum wegen seiner fortgesetzten kommunistischen Aktivitäten festgenommen und ins Gefängnis von Compiègne gebracht, wo er zahlreiche inhaftierte Anwälte und Leiter verbotener linker Organisationen kennenlernte. Die vielen Bemühungen seiner fürsorglichen Frau bewirkten seine Freilassung am 16. September 1940. Nun kannte man auch in der FTP-MOI [ Francs-tireurs et partisans - Main-d'œuvre immigrée, Französische Partisanenarme, Einwanderer-Organisation ] seine politischen Anliegen und Begabungen, doch zögerte man noch, ihn zu kontaktieren, da sein Widerwille, Menschen zu töten, klar war und man den Armeniern skeptisch gegenüberstand. Viele von ihnen wurden verdächtigt, Handelsbeziehungen zu den Deutschen aufrechtzuerhalten.
Aber schon zwei Monate später überredete ihn Abraham Lissner von der Parteileitung zur aktiven Mitarbeit in der FTP-MOI. Zunächst organisierte Manouchian nur kleinere Anschläge. Im Jahre 1943 wurden nach zahlreichen Verhaftungen die vormals vier Abteilungen der FTP-MOI aufgelöst und stattdessen eine Abteilung zuständig für Zugentgleisungen und eine zweite für Attentate und Liquidierungen eingerichtet, an deren Spitze Marcel Rayman und Missak Manouchian stehen sollten. «Je ne crains pas la mort. Simplement je ne peux pas la donner», hatte er noch zu Lissner gesagt, aber schon bei seiner ersten Aktion wurde er mitgerissen. Aus dem Chef im Hintergrund war ein kämpfender Partisan geworden.
Sogar in den geheimen Protokollen der FTP wurde Manouchian positiv erwähnt:
«Le 17 mars, mercredi, à 8 heures du matin, dans la rue Rivay à Levallois Perret, deux partisans armés de pistolets et de grenades, ont attaqué un détachement Allemand. La grenade, lancée par le nouveau chef de tous les détachements, a fait explosion en plein milieu des Allemands, faisant quatre morts et une dizaine de blessés. L'action a été observée par un troisième partisan. Malgré une vive fusillade, les trois partisans se sont retirés sans perte.» |
«Am Mittwoch, den 17 März, um 8 Uhr morgens, haben zwei mit Pistolen und Granaten bewaffnete Partisanen in der rue Rivay à Levallois Perret ein deutsches Kommando angegriffen. Die vom neuen Abteilungs-Chef geworfene Granate ist inmitten der Deutschen explodiert und verursachte 4 Tote und einige Verletzte. Die Aktion ist von einem dritten Partisanen beobachtet worden. Trotz einer wilden Schießerei haben sich die drei Partisanen ohne Verluste zurückgezogen.» |
Von Juni bis Oktober 1943 führten die beiden Spezialeinheiten mehr als 170 Attentate aus: Entgleisungen von Militärzügen, Angriffe auf deutsche Truppenverbände und diverse Bombenattentate auf hohe Funktionäre der Nationalsozialisten.
Am 28. Juli 1943, um Punkt 9 Uhr 30, explodierte der Wagen des Generals von Schaumburg, Kommandant von Groß-Paris, in der Rue Nicolo. Einer von Manouchians Männern hatte eine Handgranate direkt in den Schoß des Chauffeurs geworfen. Niemand ahnte, daß Schaumburg nicht getötet worden war, sondern drei seiner Lustknaben, denen er, an Grippe erkrankt, das Auto geliehen hatte. Er starb lange nach dem Krieg an Kehlkopfkrebs.
Zwei Monate später kam es zu einem regelrechten Straßengefecht, als ein Anschlag auf den Deutschen Julius von Ritter beinahe fehlschlug. Der ermordete Beamte von Ritter war einer jener vielen Bürokraten, die das Naziregime über Europa verteilt hatte, um die Verschickung der Zwangsarbeiter zu koordinieren. 600 000 Franzosen waren bereits auf seinen Befehl in das Deutsche Reich verschleppt worden.
Manouchian hatte große Sorgen: Die Verfolger im Rücken, die Militärchefs, die nicht zu den verabredeten Treffen kamen, fehlende Waffen und Munition, die Razzia im Café Dupont des Arts et Métiers, der er und seine Frau Mélinée nur knapp entkommen waren. Am liebsten wäre er in eine andere Stadt weit weg von Paris versetzt worden. Doch die FTP-Leitung beharrte auf seinen Pflichten und warnte vor Fahnenflucht. Ab Juni 1943 fühlten sich die ausländischen Partisanen immer isolierter. Instruktionen von oben wurden seltener, das Material schadhafter und es fehlte an Sprengstoff. Man schien ihnen in einiger Distanz auf der anderen Straßenseite zu folgen. Die Situation wurde unerträglich.
Ende Oktober 1943 ersuchte Manouchian noch einmal um den Transfer seiner Gruppe in die Gegend von Grenoble und etwas später ein drittes Mal, aber die FTP-Leitung wollte ihnen weder Waffen noch die Erlaubnis zum Verlassen von Paris erteilen. Im Oktober 1943 wurde Joseph Davidowicz, Politkommissar der FTP-MOI von Paris und Umgebung, verhaftet, worauf Manouchian dessen Arbeit übernahm. Doch im Verhör redete Davidowicz, nannte Namen und verriet Treffpunkte. Die Spezialbrigade der Deutschen täuschte seine Flucht vor, um ihn als Spitzel weiterarbeiten zu lassen. Als die Partisanen ihn wieder auftauchen sahen, ahnten sie den Verrat und exekutierten ihn.
Aber es war zu spät: Am 15. November 1943 wurden zuerst Marcel Rayman und am 16. dann Missak Manouchian zusammen mit Joseph Epstein, dem Chef der FTP des Bezirks Ile-de-France, verhaftet.
Die SS wählte von den hunderten Partisanen, die sie in diesen Monaten festgenommen hatten, 23 großteils aus Manouchians Gruppe stammende Widerstandskämpfer aus, zwölf davon waren jüdischer Herkunft, um ein Exempel zu statuieren. Am Morgen des 21. Februar 1944 führte man sie in den Gefängnishof von Fresnes, wo ein Team französischer Fotografen auf sie wartete. Wie beim Prozeß zuvor mußten sie dicke Rollkragenpullover tragen, um die Spuren der Folter zu verbergen. In Ivry wurden Manouchian und die anderen Partisanen durch eine Maschinengewehrsalve hingerichtet.
In den ersten Apriltagen 1944 waren die Mauern Frankreichs mit Tausenden roten Plakaten beklebt. Darauf stand in großen roten Lettern: «Des Libérateurs? La Libération par l'armée du crime!» In der Mitte die Fotos von zehn schwarz umrandeten Köpfen, der Hintergrund die Mauer des Gefängnisses von Fresnes. Unter den Bildern standen die Namen der «Terroristen», und weshalb sie hingerichtet worden waren. Die Gesichter der Partisanen, die Aufzählung ihrer Anschläge, dazu Fotos von Leichen mit mehreren Schußwunden, entgleisten Zügen und einem Waffenarsenal sollten Angst machen. Doch das rote Plakat bewirkte überall das Gegenteil. Es wurde zerrissen oder mit Aufschriften wie «Vive la Résistance!» versehen.
[Aus: http://lorenz.ist.org/fba/document/manouchian.html, von Lorenz Ist aus Wien]