Wolf Biermann lobt die "promovierte FDJlerin"
Angela Merkels Engagement für Israel und für das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden wurde in Berlin mit dem Leo-Baeck-Preis gewürdigt.
Die Laudation hielt Wolf Biermann:
Liebe Angela Merkel,
verehrte Bundeskanzlerin und gelernte Physikerin, soll heißen: gestandene
Christin, promovierte FDJlerin und gut geratenes Kind der DDR – und unterdes
machen Sie auch noch eine Karriere als Kämpferin in dem, was Heinrich Heine
in seinem Gedicht „Enfant Perdu“ den ewigen Freiheitskrieg der Menschheit
nannte – mich freut, dass grade Sie mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet
werden. Dieser Preis schmückt Sie, denn er schmückt sich mit dem Namen des
vielleicht deutschesten aller Rabbiner und gilt als die höchste Ehrung, die
der Zentralrat der Juden in unserem Land zu vergeben hat. Ihnen die obligate
Lobrede zu liefern, ist mir eine peinliche, soll heißen: schmerzhafte Ehre –
ja, Ehre sage ich und gebrauche dieses heikle Wort ohne ironisches
Augenzwinkern – etwa zur Besänftigung für mein links-alter-na-ives Klientel.
Und schmerzhaft, denn ich bin ein geborener Linker, Sie sind eine geborene
Rechte, Sie Christin, ich Atheist. Wir passen schön schlecht zusammen, und
das macht die Konstellation interessant.
"Lassen Sie mich ungeniert Tacheles reden"
Weder Sie noch ich, kein Ei kann sich das Nest aussuchen, in dem es
ausgebrütet wird. Sie sind die Tochter eines evangelischen Pfarrers, der in
der DDR-Diktatur dem Kaiser gab, was des Kaisers ist. Aber wenn er Ihnen
einen tiefen Glauben an den Christen-Gott eingepflanzt hat, dann ist seine
Tochter Angela dem Gott der Juden noch näher als ich Sohn eines gottlosen
Juden.
Hier, unter uns, in der paradoxen Intimität der
Öffentlichkeit, lassen Sie mich in meiner Lobrede ungeniert Tacheles reden.
Ich bin als Laudator heute eigentlich im Wortsinn gar kein Lobredner,
sondern fast schon ein Bittsteller, bin für die lebenden und die toten Juden
der Überbringer und Dolmetzsch einer Petition.
Als einzigen
Juden unter den bisherigen Leo-Baeck-Preisträgern entdeckte ich den
Schriftsteller Ralph Giordano, meinen versöhnungssüchtigen, aber dennoch
streitbaren Freund, der grade in Köln gegen den Bau einer riesigen Moschee
anreitet, wie einst Don Quichotte von La Mancha gegen eine Windmühle, die er
für einen Riesen hielt. Wenn ich mir die lange Liste der Preisträger
anschaue, dann lese ich fast ausschließlich die Namen von höchst
einflussreichen Politikern in Deutschland.
"Sie müssen weder ermahnt noch genötigt werden"
Ich hoffe, Sie sehen mir das offene Wort nach: Mir kommt auch Ihre
Auszeichnung heute mit dem Leo-Baeck-Preis vor wie eine Bitte um Beistand,
ein Appell an Menschen in Deutschland, die Einfluss haben auf die Politik
der Bundesrepublik gegenüber den Juden im eigenen Lande und gegenüber dem
Staat der Juden im Nahen Osten. Der Leo-Baeck-Preis scheint also eine
Auszeichnung zu sein, speziell gedacht für Deutsche, die man bei den
Ostjuden „a mensch“ nennt, und „a mensch“, das heißt, wenn man es aus der
jiddischen Sprache ins Deutsche übersetzt, nicht etwa „ein Mensch“, sondern
bedeutet immer genau dies: „Ein guter Mensch“.
Sie jedenfalls müssen weder ermahnt noch genötigt werden. Ihre Reden zum
Nahostkonflikt, verehrte Bundeskanzlerin, hören sich in meinem Ohr nicht so
sophisticated an wie die Ihres Vorgängers im Amte. Sie bewegen sich in
bester Luther-Tradition. „Eure Rede aber sei: 'Ja, ja; nein, nein.'“
Heilfroh war ich, als ich in diesen Tagen Ihr großes Interview in der
Springer-Zeitung DIE WELT las. Ich habe mir die Stelle ausgeschnitten und in
mein Arbeitsbuch geklebt wie einen babylonischen Talisman. Sie wurden da
zitiert mit einem Statement zum Konflikt mit dem Iran. Nun habe ich es von
der Bundeskanzlerin also schwarz auf weiß in meiner Kladde:
„Wir können die Augen vor einer Gefährdung nicht verschließen. Ich trete mit
Nachdruck dafür ein, dass wir das Problem auf dem Verhandlungsweg lösen,
aber dazu müssen wir auch bereit sein, weitere Sanktionen zu verhängen, wenn
der Iran nicht einlenkt. Er bedroht die Sicherheit Israels, die für mich als
deutsche Kanzlerin niemals verhandelbar ist. Er bedroht die Region, Europa
und die Welt. Das müssen wir verhindern.“
"Der grausame Gott des Zufalls wütet im Geschichtsprozess"
Und neben diesen Zeitungsschnipsel notierte ich mir: „Im Grunde alles
Selbstverständlichkeiten, die aber leider gar nicht selbstverständlich
sind.“ Die deutschen Exportinteressen auf dem arabischen Weltmarkt stehen
auf dem Spiel! Die Abhängigkeit vom islamischen Öl lehrt uns das Fürchten!
Und gleichzeitig fliegt der kleine Zar Wladimir Putin vom „date“ mit der
deutschen Bundeskanzlerin direkt von Berlin nach Teheran zu seinem Freund,
dem kleinen Hitler A. (Ahmadinedschad), und verbündet sich demonstrativ mit
diesem fanatischen Todfeind der Juden.
Unter uns: Ich halte Russlands Stabilisator Putin aus deutscher Sicht für
höchst instabil, denn Gasmann Schröders lupenreiner Demokrat kopiert mit
solch einer Liaison dangereuse seinen blutigen Vorgänger Stalin, als der
sich mit Adolf Hitler 1939 ins Bett legte. Putin vereinbarte grade jetzt
ungeniert weitere technische Hilfe und Lieferungen fürs iranische
Atomprogramm und verspricht den Mullahs obendrein modernere Raketen, mit
denen die Atomsprengköpfe, die der Iran bald haben wird, auch weit genug
nach Israel und noch weiter nach Europa transportiert werden können. Und in
der Uno sichert der gelernte Geheimdienstler das Milliardengeschäft ab durch
sein Veto im Sicherheitsrat: eine perverse Form der Globalisierung. So
absurd passieren die Tragödien der Weltgeschichte: Die blinden Helden führen
ihr Schicksal herbei, indem sie es abzuwenden trachten.
Aber der grausame Gott des Zufalls wütet im Geschichtsprozess auch manchmal
so verrückt, dass manches sich zum Guten wendet.
"Warum hassen so viele Europäer dermaßen maßlos die Juden?"
Sie, Angela Merkel, kommen mir vor wie solch ein gelungenes Zufallsprodukt
der Weltgeschichte. Was 'ne wunderbar verdrehte Welt: Ausgerechnet das
Menschenkind Angela aus dem Pfarrhaus, das prima Russisch gelernt hat in der
DDR, wo kein normaler Schüler Russisch lernen
wollte, redet nun Tacheles mit den Russen. Eine Frau, die die Gesetze der
Physik studierte in einem Land, wo zwei mal zwei nicht vier sein durfte –
ausgerechnet sie bringt den Großkopfeten der Europäischen Union lebensklug
wie eine erfahrene Grundschullehrerin das kleine Einmaleins der politischen
Moral bei und dazu das große Einmaleins einer moralischen Politik.
Ausgerechnet eine Frau aus der größten DDR der Welt zeigt den Machtmännern,
dass unsere Erde tatsächlich immer kleiner wird, dass unser Planet in Bälde
eine globale Dorfregierung braucht und dass also die verteufelte
Globalisierung die einzige Chance für uns ist, als Menschheit womöglich noch
ein paar Jahrtausende auf diesem Erdball durchs Universum zu rollen.
Warum
hassen so viele Europäer dermaßen maßlos die Juden? Warum halten sie das
bedrohte Israel, die einzige Demokratie in der arabischen Region, für den
gefährlichsten Kriegstreiber in der Welt? Und woher kommt dieser hysterische
Hass gegen die USA? Ich wüsste gern, verehrte Angela Merkel, Ihre Meinung.
Eine
mögliche Antwort: Die Deutschen haben zwei verbrecherische Kriege vom Zaun
gerissen und verloren, also ziehen sie daraus die dummschlaue Lehre: Pfoten
weg! Ich kriegsgebranntes Kommunisten- und Judenkind war immer für den
Frieden, konnte aber niemals ein Pazifist sein. Also hat es mein Herz
gefreut, als ich las, was Sie zu diesem heiklen Thema öffentlich äußern:
„Ein Blick zurück in unsere eigene Geschichte mahnt dazu, den Frieden als
wertvolles Gut zu erhalten und alles zu tun, um kriegerische
Auseinandersetzungen zu vermeiden. (...) Ein Blick in die gleiche Geschichte
mahnt aber auch, dass ein falsch verstandener, radikaler Pazifismus ins
Verhängnis führen kann und der Einsatz von Gewalt – trotz des
damit einhergehenden Leides – in letzter Konsequenz unausweichlich sein
kann, um noch größeres Übel zu verhindern.
"Opfer können wohl verzeihen"
Auch die jüngere europäische Geschichte zeigt, dass Krieg im Umgang mit
Diktatoren zur ‚Ultima Ratio' werden kann. (...) Beim Kosovo-Krieg hat eine
'coalition of the willing' durch den Einsatz von Gewalt noch größeres Leid
(...) verhindert.“
Ich vermute, dass alle Europäer, die Russen eingeschlossen, den USA einfach
viel zu viel verdanken. Manchmal kommt es mir so vor, als ob der Mensch
Untaten besser aushält als Wohltaten. Es klingt paradox – aber wir alle
wollen doch uns dankbar erweisen für unsere Retter. Der Mensch schämt sich
aber und wird aggressiv vor allem dann, wenn er keine Chance sieht, sich
jemals zu revanchieren. Ohne die heldenhafte Hilfe der USA hätte Hitler in
Westeuropa und gegen Stalins Sowjetunion den Weltkrieg wahrscheinlich
gewonnen.
Übermächtige Gründe zur Dankbarkeit machen womöglich auch die Völker
seelenkrank. Und der Judenhass? Er ist so alt, so gediegen. Denken Sie an
den genialen Luther als Todfeind der Juden. Ja, Opfer können wohl verzeihen.
Aber die Juden werden vor allem gehasst wegen der Shoa, weil die Täter den
Opfern niemals verzeihen können, was sie ihnen antaten. Sie, Frau Merkel,
sind in diesem fatalen Zusammenhang etwas günstiger dran, weil Sie – „in
echt“ – die Gnade der späteren Geburt genießen und sich auch nicht etwa
damit berühmen, dass Sie sich beknirschen.
"Ja, Sie sind ein Ostmensch"
Ihr verblüffender Aufstieg vom belächelten Ostmädchen des Kanzlers Kohl zu
Schröders Fiasko und nun zu einer weltweit respektierten Frau hat, vermute
ich, seinen Grund auch in Ihrer lehrreichen Erfahrung als Untertan in einem
totalitären Regime, wie es die DDR war.
Wer von klein auf in einer totalitären Diktatur lebte, hasst die Freiheit,
weil er sie fürchtet, oder er liebt sie mit umso größerer Inbrunst.
Ja, Sie sind ein Ostmensch, aber kamen mir nie wie ein „Ossi“ vor. Sie sind
eine Deutsche, die in keine West- oder Ost-Schublade reinpasst. Mit Verlaub,
ich komme mir so ähnlich vor. Unsereins quält die Frage noch tiefer als
einen geborenen Demokraten: Wo sind die Grenzen der Freiheit? Darf unsere
Toleranz immer wieder so weit gehen, dass die Intoleranz triumphiert? Gelten
Freiheitsrechte auch für Freiheitsfeinde?
Gut, das wäre die Freiheitsfrage – wie aber steht es mit der Judenfrage.
Auch diese Erfahrung haben Sie und ich gemein: Wir lebten in einem Staat,
dessen Politik nach innen wie nach außen ein praktizierter Antisemitismus
war, der allerdings so cool funktionierte wie bei Orwell im Roman „1984“ die
Neusprech-Sprache: Offiziell wurde den Bürgern jeglicher Antisemitismus
verboten, aber als Antizionismus umgetauft war der Judenhass Staatsdoktrin
nach innen und außen. Das Ministerium für Staatssicherheit unter Mielke und
Markus Wolf baute dem fanatischen Todfeind Israels, einem der eifrigsten
Endlöser der Judenfrage, Jassir Arafat, seine diversen untereinander
abgeschottet verschachtelten Geheimdienste auf.
"Leo Baeck liebte Deutschland"
Wer den Nahen Osten kennt, der weiß: Wenn die Araber endlich ihre Waffen
niederlegen, wird es dort keinen Krieg mehr geben. Wenn aber Israel die
Waffen niederlegt, wird es kein Israel mehr geben.
Viele Europäer neigen dazu, Juden und Araber als Streithähne zu sehen, als
Raufbolde, die man mit der Rute der Vernunft zur Räson bringen muss. Den
Israelis wird raffinierte Hinterlist unterstellt, und den Arabern eine
aufbrausende Unmündigkeit.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, brechen mit dieser infamen und infantilen
Äquidistanz. Als ich mir Ihre Statements zu Israel anschaute, fand ich ein
Wort, das mich berührte:
„Wir haben erst spät gelernt – und ich sage das für mich auch persönlich –
wie unermesslich viel Deutschland durch die Shoa verloren hat und wie viel
Liebe deutscher Juden zu diesem Land unerwidert geblieben ist.“
Einer von den Juden, die zu Deutschland eine dermaßen tragisch unerwiderte
Liebe hatten, war der Rabbiner Leo Baeck. Ja, er war das Musterexemplar
eines extrem deutschen Juden. Er liebte Deutschland „über alles“. Und er
verkörperte alle deutschen Tugenden, für die die Juden aus Deutschland in
Israel bis heute von den lebensklügeren Ostjuden und von den lebenslustigen
sephardischen Juden bewundert werden und belächelt und verspottet. So
preußisch korrekt, so pflichtbewusst, so pünktlich, so penibel, dermaßen
gutbürgerlich und ordnungsliebend bis über den Rand der Lebensdummheit waren
nur diese Juden aus Deutschland.
"Er war der Typ eines national gesinnten Patrioten"
Wäre Leo Baeck bei seinem Besuch noch im Jahre 1936 in Palästina geblieben,
dann hätte man ihn dort in Erez Israel als einen dieser typischen
„Jekke“-Juden angesehen. Er kehrte von der kurzen Reise aber zurück ins
faschistische Deutschland, weil er zweitens so extrem deutsch war, und
erstens, weil er sich als Seelsorger und als väterlicher Helfer in größter
Not den Juden im deutschen Vaterland verpflichtet fühlte.
Auch als er 1939 die Gelegenheit hatte, zu Verhandlungen nach London zu
reisen, brachte er sich dort nicht in Sicherheit, sondern kehrte zu seinen
Leidensgenossen in die Mördergrube Deutschland zurück. Er organisierte die
Rettung von jüdischen Kindern ins Ausland, verhandelte mit der Gestapo,
besorgte Pässe, Genehmigungen, soziale Hilfe und Geld.
So kam es, dass Leo Baeck 1943 als Nummer 187894 deportiert wurde ins KZ
Theresienstadt, ein sogenanntes Sonder- oder auch
Vorzugs-KZ in der Nähe von Prag, wo die Juden massenhaft starben an Hunger
und Krankheiten und von wo die Menschen zur Vergasung nach Auschwitz in
Güterzüge gepfercht wurden. Ein Wunder: Im KZ Theresienstadt gehörte der
Greis Leo Baeck am Tag der Befreiung zu den Überlebenden. Und ich glaube, er
überlebte nur, weil er den Todgeweihten dort mit stoischer Disziplin und
treudeutscher Innigkeit die Werke von Goethe und Immanuel Kant und Gottes
Thora predigte.
Ja, dieser Leo Baeck war der Typ eines national
gesinnten Patrioten. Von meinem Freund, dem Historiker des jüdischen
Widerstandes in der Nazizeit, von Professor Arno Lustiger in Frankfurt am
Main, weiß ich, dass Leo Baeck freiwillig in den Ersten Weltkrieg zog. Als
Frontrabbiner ritt er furchtlos bis zu den vordersten Schützengräben und
betreute seelsorgerisch das jüdische Kanonenfutter: deutsche Soldaten, die
dort für Kaiser und Vaterland in den sinnlosen Tod gingen. Es wird vom
Namenspatron des Preises, der Ihnen heute übergeben wird, berichtet, dass er
in letzter Minute vor seinem Abtransport ins KZ, als auch er 1943 die
Schlüssel seiner Wohnung und eine vollständige Liste mit dem Inventar an
Büchern, Möbeln, Geschirr, Wertsachen und Sparbücher und Bargeld hatte
abgeben müssen, noch schnell vorher seine letzte Gasrechnung bezahlt hat.
"Verehrte Angela Merkel, ich kann Sie ohne Falsch so nennen"
Es gab vor einiger Zeit Streit um eine Studie, an der Leo Baeck gearbeitet
hat, eine Auftragsarbeit der Gestapo des Reichssicherheitshauptamtes. Er
arbeitete von 1938 bis 1941 an dieser Schrift: „Die Entwicklung der
Rechtsstellung der deutschen Juden in Europa, vornehmlich Deutschland.“ Nach
dem Ende des Krieges hatte Leo Baeck gelogen, dies sei eine
wissenschaftliche Arbeit gewesen, die er im Auftrage rechtskonservativer
Nazigegner (also im Auftrage des in Plötzensee hingerichteten
deutschnationalen Widerständlers Friedrich Goerdeler) verfasst habe.
Hannah Arendt schimpfte ihn „the Führer of the german jews“. Dass Hannah
Arendt den Rabbiner Beck im englischen Text als „Führer“ schmähte, zeigt den
Grad der Erbitterung in dem Streit um die herzzerreißende Frage: Waren
solche Leute wie etwa auch der Vorsitzende des Judenrates im Warschauer
Getto, der Ingenieur Adam Tschernjakow, Kollaborateure der Nazis oder nicht?
Soweit die Forschung inzwischen weiß – und soweit ich es beurteilen kann –,
war der Rabbiner Leo Baeck ganz und gar kein jüdischer Hund Hitlers. Im
Gegenteil, er war ein Deutscher, der sein Land und seine Kultur liebte und
der also doppelt, nämlich als verfolgter Jude und als deutscher Patriot, die
Nazis hasste und verachtete und der jede Form des Widerstandes wagte, die
ihm möglich war.
Verehrte Angela Merkel, ich kann Sie ohne Falsch so nennen, denn es ehrt
Sie, dass Sie sich so behutsam und beharrlich einmischen in dem Konflikt der
beiden Söhne des Stammvaters Abraham: Ismael und Isaak. Diese Halbbrüder
gelten als die Urväter der arabischen Völker und des Volkes der Juden. Seit
Jahrtausenden liegen sie im Familienstreit. Und dieser Bruderkrieg wird
länger dauern, als wir dauern.
"Ich will Ihnen ein neues Lied vorsingen"
Es ist unsere mühselige und notwendige und zuverlässig undankbare Aufgabe,
den Juden und den Arabern zu helfen. Wir können mildern, wir sollen
vermitteln, aber nicht als Quacksalber der Weltgeschichte Wunderkuren
verordnen. Bei Gelegenheit will ich Ihnen ein neues Lied vorsingen über
genau diesen heillosen Familienkrieg im Nahen Osten, da heißt es am Schluss:
Roter Mond über Banyuls sur Mer...
– wir alle sind ja reingezogen
in den Krieg der beiden Söhne
aus dem Samen Abrahams, Couplet:
Das sind Tragödien der andern Art
Da hilft kein gut gemeinter Rat
Da hilft kein Treueschwur, Kein frommer Fluch
Kein kluggeschissnes Friedens-Buch
Da hilft kein Aufschrei in der Welt
Kein feige abgedrücktes Geld
(Schon gaanich Biermann seine Gedichte)
Konflikte dieser Kategorie
Für die gibt's keine Lösung. Nie!
Die haben nur eine Geschichte
Das ganze "Lied" (ohne nähere Copyright-Angaben von Henryk M. Broder in dem Blog
"Die Achse des Guten" veröffentlicht):
ROTER MOND ÜBER BANYULS SUR MER
Das ging so schnell:
Vom Dämmerlicht in schwarze Nacht
Da schwebten wir auf der Terrasse überm Dach
Tief unter uns die Bucht.
Wir sahn das Lampenlicht
Im Wasser zittern, hörten paar Sardanafetzen
Genossen den Ein-Euro-Wein,
Den würzig Weißen Aus Peralada.
Hoch im Himmel mußte wohl ´ne
Herde Wolken wandern,
weil ja zwei Sterne nur
Auf uns herunterblinkten.
Plötzlich stieg der Mond
Doch noch am Horizont
Im Osten aus den Fluten
Den roten Mond als Riesenfratze
Sahn wir bluten
Wie´n Menetekel drohender Gefahr.
Er kam Sein´ Weg von Gaza hoch, über das Mittelmeer
Wir sahn das Blut von Isaak und Ismael
Blutrot verschmiert stieg auf das nackte Mondgesicht
Nun wuchs ihm grau ´ne Wolkensträhne in die Stirn
Und schon verschwand er, tauchte hoch ins tiefe Schwarz -
wir alle sind ja reingezogen in den Krieg
Der beiden Söhne aus dem Samen Abrahams
COUPLET Das sind Tragödien der andern Art
Da hilft kein gutgemeinter Rat
Da hilft kein Treueschwur
Kein frommer Fluch
Kein kluggeschissnes Friedens-Buch
Da hilft kein Aufschrei in der Welt
Kein feige abgedrücktes Geld
Schon gaanich Biermann seine Gedichte
Konflikte dieser Kategorie
Für die gibts keine Lösung.
Nie! Die haben nur eine Geschichte
Siehe auch: www.welt.de/politik/article1337090/Wolf_Biermann_lobt_die_promovierte_FDJlerin.html,
"5. Du sollst nicht mörkeln!",
"Die Brücke von Varvarin" und
"Ein hübsches Merkel"
Laut
Spiegel-Online wies der evangelische Theologe und SPD-Mitglied Richard Schröder den Einwand der Linkspartei zurück, Biermann habe den Irakkrieg befürwortet. "Wer seinen Vater in Auschwitz verloren hat, weil er jüdischer Herkunft war, denkt verständlicherweise anders über die Bedrohung des Staates Israel durch irakische Raketen, wie sie schon einmal auf Israel abgefeuert worden sind, als die Linkspartei", sagte Schröder. Eine bewusst irreführende Verkürzung: Erstens ging es im Irak-Krieg nicht um Raketen gegen Israel und zweitens war Biermanns Vater vor allem Kommunist und Widerstandskämpfer und kein gläubiger Jude und als Mitglied des Widerstands ist er auch umgebracht worden. Für mich ist der "Fall Biermann" auch ein Fall des fortgesetzten Missbrauchs des Namens seines Vaters durch seinen Sohn und andere reaktionäre Geschichtsfälscher, die ihren Antikommunismus als Antifaschismus ausgeben.
Vom Liedermacher Wolf
Mißverstanden von der Welt,
abgeschlagen und allein,
reduziert auf Ruhm und Geld,
wollt' er doch nur artig sein.
Und das war er eigentlich,
denn der Anstand ist geblieben,
auch, wenn er den Ruf erschlich,
linke Lust hätt' ihn getrieben.
Alles war doch Poesie,
Kunst und Lyrik für den Geist,
für das echte Leben nie,
wie die Bühnenshow beweist.
Wenn ihr mich zerstören wollt,
schickt mich in den Westen,
dann hat er Tribut gezollt
mit den Liederresten.
Sicher war's kein hoher Preis,
seine Texte sind schon immer
voll von dem, was jeder weiß,
Nörgelspott und Zankgewimmer.
Nichts, was Wirklichkeit bewegt,
fand in den Konzerten Platz,
doch als Buch und Lied verlegt
häuft es seinen Börsenschatz.
Wer sich ändert, bleibt sich treu,
seine erste Westdevise,
hierzulande auch nicht neu,
tiefster Sinn der Wirtschaftskrise.
Ist der Ex-Genosse nun
in der Heimat angelangt,
hat er viel damit zu tun,
daß er seines Weges wankt.
Fragt er sich auch manches Mal,
was woll'n meine Widersacher,
kennen sie nicht meine Qual,
den Beruf als Liedermacher?
Treu kann ein Mensch nur ander'n sein,
und ein Genosse muß das wissen,
wer sich behauptet, ganz allein,
den wird kein Mensch am End' vermissen.
von Helmut Barthel